Sten Nadolny – 2013

© Bild: Eckhard Waasmann

über Sten Nadolny

“Man muß Geheimnisse haben können, man muß selbst ein wenig Geheimnis sein dürfen…”. (Sten Nadolny: Das Erzählen und die guten Ideen. Die Göttinger und Münchener Poetik-Vorlesungen. München 2001, S. 44)

 

Sten Nadolny wurde 1942 in Zehdenick in Brandenburg geboren und wuchs in Chieming am Chiemsee auf. Er studierte Geschichte und Politologie in München, Tübingen, Göttingen und Berlin und wurde 1976 promoviert. Er arbeitete als Studienrat, Taxifahrer, Vollzugshelfern und Aufnahmeleiter beim Film, bevor er sich schließlich ganz der Literatur widmete. Seit Anfang der 1980er Jahre veröffentlichte Sten Nadolny zahlreiche Romane, darunter „Netzkarte“ (1981), „Die Entdeckung der Langsamkeit“ (1983), „Ein Gott der Frechheit“ (1994), 1999 „Er oder ich“ (1999), den „Ullsteinroman“ (2003) und zuletzt 2012 „Weitlings Sommerfrische“. Für seine Werke wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Ingeborg-Bachmann-Preis, 1995 der Ernst-Hofrichter-Preis, 2004 der Jakob-Wassermann-Preis und 2012 der Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag. 1990 und 2000 hat er zudem Poetikvorlesungen in München und Göttingen inne gehabt.

Sten Nadolny ist einer der großen Erzähler der Gegenwart. Seine Sätze wirken auf den ersten Blick ruhig und fließend, auf den zweiten Blick aber offenbart sich sein großes Können: Seine Sätze sind stilistisch fein und leicht, unaufgeregt und mit einer guten Portion Humor, die auch vor der eigenen Person nicht Halt macht. Er bricht mit Erwartungshaltungen, entzieht sich Festlegungen und treibt sein Spiel mit vermeintlichen Gewissheiten. Anhand seiner großen Themen, dem Reisen und der Geschichte, offenbart sich, dass er ein genauer Beobachter ist, den stets auch die Frage nach Selbsterkenntnis und Selbstfindung umtreibt.

über das Seminar

Über all das und noch viel mehr, buchstäblich über Gott und die Welt haben wir gemeinsam mit zwanzig Studierenden mit Herrn Nadolny im Seminar diskutieren dürfen.

Denn das Besondere an diesem im Wintersemester 2007/2008 vom Department für Germanistik und Komparatistik ins Leben gerufenen Format des Erlanger Poetik-Kollegs ist es gerade, nicht nur über Texte und deren Verfasser zu sprechen, sondern einmal ganz unmittelbar und persönlich mit Autorinnen und Autoren der Gegenwart ins Gespräch kommen zu dürfen. Somit konnten wir in diesem Poetik-Kolleg mit Sten Nadolny auch die in „Weitlings Sommerfrische“ aufgestellte These entkräften, dass „Gespräche über Gedichte und Romane […] ausschließlich Leser [führen], gegen Bezahlung auch Literaturwissenschaftler“ (S. 185).

Zwar konnten wir den Autor Sten Nadolny in der Seminarsitzung wohl nicht in allen Punkten gänzlich von der Literaturwissenschaft überzeugen und haben uns nicht immer als „geländegängige Leser“ erwiesen, haben aber viel über sein Verständnis des Erzählens lernen dürfen. Die Kunst des Erzählens besteht für Sten Nadolny nämlich gerade darin, ein Kind mit leuchtenden Augen zu sein, das schlicht und einfach erzählen will und muss, auch wenn die entstehende Erzählung nicht immer schlicht und einfach ist und viel Planung, die dann beim Schreiben aber losgelassen werden muss, erfordert.

Und gerade die auf diese Weise entstehenden Erzählstimmen mit dem neugierigen und leuchtenden Blick der Kinder stellen die Welt und die Ordnung gerne auf den Kopf und möchten sehen, was in dem Möglichkeitsraum der Texte passieren kann. Doch bleiben diese Möglichkeitsräume nicht in einer rein fiktionalen Sphäre verhaftet, sondern strahlen mit der „Beweiskraft der Phantasie“ in die Realität zurück, indem Geschichten eine Erweiterung der Wirklichkeit und ihrer faktischen Grenzen repräsentieren. Denn dadurch, dass die Geschichten erzählt werden, werden sie zu einem Teil dieser Wirklichkeit und unterlaufen ihre vermeintlich festgezogenen Grenzen.

 

Sten Nadolny im Gespräch mit Schau ins Blau: Von guten Absichten und diabolischen Spielen